Tokio & Kyoto: Reisebericht Japan 2014 / Tag 12

TAG 12 / KYOTO
Mittwoch, 21.05. / 27°C / erst wolkig, dann sonnig

Vor diesem Trip habe ich natürlich so einiges im Internet recherchiert und für die Reise gebookmarked. Darunter war auch Johnnie Hillwalker. Eine Kyoter Reiseführer-Koryphäe, seit über 50 Jahren unterwegs. Seine Tour soll die authentischste und interessanteste in ganz Kyoto sein, weil sie sich eben um Ecken kümmert, an denen man als Tourist ansonsten arglos vorbeilaufen würde. Johnnie ist inzwischen 84 Jahre alt und bietet seine Tour nur noch Mittwochs an, an anderen Tagen übernehmen jüngere Mitstreiter. Verständlich. Aber wir wollten das „Original“, immerhin hat nicht nur die „Welt“ schon in den höchsten Tönen von Johnnie geschwärmt.

Um Punkt 10 Uhr sind wir am Treffpunkt – einer Ecke der Vorplatzes vom Hauptbahnhof in Kyoto. Dort sitzt ein kleiner, in Beige gekleideter älterer Herr lässig auf dem Boden an eine Glastür gelehnt und reicht allen Neuankömmlingen einen Plan mit der bevorstehenden Tour. Das also ist der gute Johnnie. Bis es um 10.15 losgehen soll, sind mit uns 20 Personen eingetroffen. Die Tour ist ohne Anmeldung, jeder der will kann kommen. Es hat sich eine bunte Touri-Truppe aus aller Herren Länder um Johnnie zusammengerottet. Zum Glück spricht er ein recht gutes Englisch. Dafür aber eher langsam und er wiederholt fast jeden Satz. Nun ja, der Mann ist 84.Und auch dass er langsam geht, kann man ihm nicht wirklich ankreiden. Noch nicht.
In der nahen Metro-Station bittet Johnnie in einer stillen Ecke um sein Salär. 2000 Yen (14 Euro) ruft er auf. Für eine Tour, die bis zu fünf Stunden dauern kann, ein akzeptabler Preis. Lustig, dass er mit dem Einsammeln bis hier unten gewartet hat, wo fast niemand zusieht. Sicher die angeborene „Scham“ der Japaner.

Der Meister. Johnnie Hillwalker relaxt vor der Tour noch ein bisschen.

Zuerst besucht er mit uns den Higashi Honganji-Tempel in der Nähe des Hauptbahnhofes. Dort war gerade eine „Messe“ für Tote zugange und viele Angehörige von Verstorbenen aus ganz Japan waren vor Ort, um einen kleinen Teil der Asche ihres Angehörigen zu diesem – einem der wichtigsten buddhistischen Tempel Japans – zu bringen. Nach der Zeremonie erzählt unser Fremdenführer viel Interessantes über den Buddhismus als solchen, seine vielen Sekten, das Gebäude im Speziellen und so weiter.
Die Tour führt anschließend in ein kleines Wohn- und Arbeiterviertel, wo wir in eine traditionelle Fächer-Manufaktur reinschnuppern können, geht über einen kleinen Shinto-Tempel und dessen Friedhof in ein ehemaliges Geisha-Viertel, zum ehemaligen Nintendo-Hauptquartier (die haben 18hundertirgendwas mit Spielkarten angefangen!) und so weiter.
To make a long story short: Wir haben wirklich viel gelernt und interessante Dinge gesehen, an denen man tatsächlich sonst vorbei gelaufen wäre. So viel zum Guten.

Die andere Seite der Medaille ist: Nach vier Stunden (und etwa zwei Kilometern Wegstrecke) kam der Punkt, an dem es kippte. Wir saßen im kleinen lokalen Museum eines Gemeindezentrums, wo Johnnie irgendetwas auf einer großen Landkarte erklärte, auf dem Boden. Es war heiß und stickig. Auf eine Frage hin, hörte Johnnie nach der dazu gehörenden Antwort nicht mehr auf zu reden, steigerte sich in einen Erzählfluss, der irgendwo in seiner Kindheit begann. Langsam, sich oft wiederholend. Anfangs war das auch noch interessant. Irgendwann schlief der erste ein (wirklich!), dann die zweite, die dritte, dann verabschiedete sich einer komplett von der Runde, der nächste ging ein wenig nach draußen Luft schnappen und so weiter. Erst nach einer halben Stunde rappelte man sich wieder auf, um weiter zu gehen. Laaangsam weiter zu gehen. An einem traditionellen alten Geschäft für Reis-Biskuits, wo Johnnie für jeden eine Tasse grünen Tee und einen Reiskeks bereit hielt, war dann schon 15 Minuten später die nächste Rast angesagt. Da war es 15 Uhr und Johnnie gab an, dass wir so gegen 16.30 fertig seien. Das war dann der Moment, in dem wir uns freundlich und unter vielen Entschuldigungen von ihm und den anderen verabschiedeten. Wir dachten, wir wären um 15 Uhr durch (die Tour war ja auf höchstens fünf Stunden ausgelegt) und wir wollten an diesem Tag unbedingt noch zum Fushimi Inari-Schrein am anderen Ende der Stadt. Zum Abschied überreichten wir ihm noch ein kleines Mitbringsel aus Köln. Die Stadt kannte er tatsächlich als Partnerstadt von Kyoto und er bedankte sich herzlich.

Fazit zur Tour: Johnnie ist sehr nett, berichtet sehr viele interessante Dinge und ist – wenn man das so sagen darf – ein putziges Kerlchen. Allerdings war wie gesagt irgendwann der Moment da, als es einfach zu langsam ging. Wenn 20 Leute bei drückender Hitze im Gänsemarsch tippeln und alle fünf Minuten angehalten wird, um (langsam) etwas erzählt zu bekommen, macht das müder, als ein 15-Kilometer-Gewaltmarsch bei dem es zackig voran geht. Wir hoffen, dass Johnnie seine Tour noch lange anbieten können wird und bewundern diesen älteren Herr sehr, aber für uns war’s irgendwann genug.
Jetzt entschuldige ich mich schon wie ein Japaner 😉

Ein paar Straßen vom Reiskeks-Laden entfernt versorgen wir uns an einem der diversen Getränkeautomaten und suchen mit Google Maps den Weg zurück zum Hauptbahnhof. Zwölf Minuten sagt das Navi!? Wir müssen derart Zick-Zack gegangen sein in den letzten fünf Stunden! Vom Gefühl her hätten wir den Rückweg mit mindestens einer halben Stunde kalkuliert. Zum Fushimi Inari geht es vom Hauptbahnhof in fixen sechs Minuten mit der JR-Line in Richtung Nara. Praktischerweise hält die Bahn gleich vor dem Eingang zum Schrein, der sich schon von der Bahnstation aus mächtig in der Ferne zeigt. Das ging ja wider Erwarten schnell.

Tausende Torii auf dem Weg zum Fushimi Inari Schrein

Hier ist einiges los – die obligatorischen Schulklassen und Reisegruppen, Massen an Touristen, viele Souvenir-Shops und so weiter. Der Tempel an sich ist sehenswert, aber nicht die Hauptattraktion. Die besteht vielmehr aus einer Art heiligen Berg, den es bis auf knapp 250 Meter Höhe zu erklimmen gilt. Das geschieht über verschiedene bewaldete Wege, die einen Großteil der Strecke durch Tunnel aus Torii-Toren führen. Torii gelten bei Shinto-Schreinen als eine Art Grenze zwischen weltlichem und geistigem und sind meist rot, oft auch rot-orange lackiert. Hier an diesem Schrein – einem der ältesten und meistbesuchten in Japan – können Firmen und Privatleute Torii kaufen und auf dem Weg zum allerheiligsten Schrein auf dem Berg aufstellen lassen. Ein Preisschild verrät, dass es derzeit je nach Größe und Lage zwischen 1280 und 9500 Euro kostet, so ein Teil hier setzen zu lassen.
Diese Praxis führte über die Jahrhunderte zu kilometerlangen Wegen, die durch Tunnel eben dieser dicht gestellten Torii führen. Natürlich sind hier und da ein paar weg gegammelt und ganz alte werden durch neue ersetzt, aber genau das ist auch das reizvolle an diesem steilen Weg bergauf.

Es ist ein großartiger, wenn auch bei der Hitze schweißtreibender Spaziergang. Aber wir sind ja in Japan, und an jeden kleinen Zwischentempel auf dem Weg hat der Japaner eine kleine Snackbude oder wenigstens einen Getränkeautomat gesetzt. So kommen wir trotz schweißnassen Klamotten mit Hilfe unserer Götter „Aquarius“ und „Pocari Sweat“ nach einer Stunde sicher oben an. Da beginnt es schon zu dämmern und nach einem kurzen Zwischenstopp geht es an den Abstieg auf der anderen Seite des Berges. Der ist nicht mehr mit ganz so vielen Toriis gesegnet, dafür aber mit zauberhaften Blicken in den umgebenden Wald oder auf den Zwischenstationen auf das langsam erleuchtende Kyoto unten im Tal. Auch zwischen den Torii gehen die Lampen an, ebenso wie an den vielen kleinen Tempeln auf dem Weg. Manche Stelle an der wir vorbeilaufen bekommt so etwas mystisches. Kleine Wasserfälle inmitten von Skulpturen aus moosbewachsenem Stein nebst verrottenden Mini-Torii haben schon etwas. Es herrscht ein bisschen „Märchenwald“-Stimmung. Auch sind fast keine Leute außer uns mehr unterwegs, was die ganze Sache noch ein bisschen unwirklicher erscheinen lässt, zumindest in Japan. Wiederum nach einer Stunde unten angekommen, sind alle Shops zu und die meisten Touris verschwunden. Dafür leuchtet der angestrahlte Schrein vor dunklen Wolken im letzten Abendlicht nach Sonnenuntergang. Ein Gewitter zieht auf und bringt kühlen Wind mit. Ab und zu blitzt es schon in der Ferne. Eine Szene, die man in jedem Hollywoodfilm extrem kitschig finden würde. Das war wirklich mal ein Highlight in Kyoto und überhaupt: Eins der gesamten Reise!

Abendessen fassen wir, zurück in Kyoto Downton, heute noch einmal auf die Fast-Food-Weise. Nach einem abschließenden Bierchen geht’s es hundemüde schnell ins Bett.
Und ja, ich weiß, dass es heute fast nur Fotos von den Toriis gibt. Aber auf Johnnies Tour gab es nicht wirklich viele Motive und außerdem war es dort eben einfach großartig! 😉

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